Er hält nichts von Untergangsszenarien à la ‚Deutschland schafft sich ab‘. „Wir leben in Deutschland in paradiesischen Zuständen“, sagte am vergangenen Dienstag Prof. Dr. Thomas Straubhaar bei der Vorstellung seines neuen Buchs Der Untergang ist abgesagt: Wider die Mythen des demografischen Wandels im Münchner Literaturhaus. Der Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg hat im Gespräch mit SZ-Wirtschaftsjournalist Nikolaus Piper einige Ideen parat, um den Herausforderungen des demografischen Wandels zu begegnen.
So schlägt Thomas Straubhaar zum Beispiel vor, in alternden Gesellschaften Kindern das Wahlrecht einzuräumen und treuhänderisch auf deren Eltern zu übertragen. So finden die Interessen der Jungen Berücksichtigung, selbst wenn die Mehrheit der Bevölkerung jenseits der 50 ist.
Auch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist für den eloquenten Schweizer mit deutscher Staatsbürgerschaft kein Tabu. Die statistische Lebenserwartung steig im Moment alle 10 Jahre um ein Jahr an. Deshalb sollte sich der Renteneintritt entsprechend um die Hälfte der gewonnenen Lebenszeit – also sechs Monate – nach hinten verschieben. Schweden ist dafür ein gutes Beispiel. Überhaupt sei unser aktuelles Rentenmodell grundsätzlich zu hinterfragen, denn es stammt aus einer völlig anderen Zeit mit ganz anderen gesellschaftlichen Gegebenheiten. Ein Wechsel von der beitragsfinanzierten zur steuerfinanzierten Rente könnte eine Möglichkeit sein.
1 bis 3 Mio. Zuwanderer sind bei 81 Millionen Deutschen kein Problem
Was die Zuwanderung angeht, so hält Thomas Straubhaar deren prognostizierte Folgen in beide Richtungen für total überzogen. Weder löst Zuwanderung unser Rentenproblem, noch den Facharbeitermangel. Dass zuviel Diversität zum Zerfall einer Gesellschaft führen kann, bestreitet er nicht. Aber: „Wir haben so ein tolles Grundgesetz, das unser Zusammenleben regelt. Alle, die dessen Regeln respektieren, sollen das Recht haben, zu Deutschland zu gehören.“
Wichtig für die Integration der Zuwanderer seien Investitionen in unser Ausbildungssystem, hier müsse der Staat viel Geld in die Hand nehmen. Denn Prävention ist immer billiger als die nachträgliche Korrektur von Fehlern.
Vom Moderator nach seinem persönlichen Drei-Punkte-Programm zum Thema demographischer Wandel gefragt, nennt Thomas Straubhaar:
- Dampf aus der Diskussion nehmen! Denn die Angst vor dem demographischen Wandel ist das eigentliche Problem, nicht der Wandel an sich.
- Zuwanderung ist nicht DIE Schicksalsfrage, es gibt andere wichtige Themen wie zum Beispiel die Digitalisierung oder die wachsende Vielfalt in unserer Gesellschaft (Alte versus Junge, Gesunde versus Kranke etc.).
- Es gibt keine einfachen Lösungen für komplexe Fragen. Der Mensch ist in der Lage, auf unglaubliche Weise auf Veränderungen zu reagieren. Deswegen sollte man das Feld nicht denjenigen überlassen, die glauben, die einzig richtige Lösung zu haben.
Mein persönliches Fazit: Ein sehr interessanter Abend mit einem ausgesprochen differenziert argumentierenden Redner, der Mut macht und Optimismus verbreitet.
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