Nur wenige Politiker haben Fans in allen Bevölkerungsschichten und über alle Parteigrenzen hinweg – unser Redner Gregor Gysi ist einer von ihnen. Und alle, die am Montag trotz 35 Grad im Schatten für das von der Lichterkette e.V. organisierte Gespräch zwischen Amelie Fried und Gregor Gysi ins Münchner Literaturhaus gekommen waren, kamen voll auf ihre Kosten. Der Fraktionsvorsitzende der LINKEN unterhielt das Publikum nicht nur mit einem Feuerwerk an Anekdoten, sondern gab auch sehr persönliche Einblicke in sein Leben.
Rinderzüchter statt Schauspieler
Gleich zu Anfang spielte Moderatorin Amelie Fried darauf an, dass Gysis Vater seinen Sohn gerne als Schauspieler gesehen hätte. An Begabung hätte es sicher nicht gemangelt, wie man auch an diesem ausgesprochen lustigen Abend sieht. Aber bei der 900. Aufführung desselben Stücks immer noch mit Leidenschaft dabei zu sein, das war nicht Gysis Ding. Stattdessen machte er zunächst eine Ausbildung zum Rinderzüchter („Die beste Voraussetzung für den Beruf des Politkers – man lernt, mit Hornochsen umzugehen“), bevor er Anwalt wurde.
Als solcher hatte Gregor Gysi in der DDR einen Nischenberuf – gerade einmal 600 gab es im ganzen Land. Wie er dem System mit seinen Verteidigungsstrategien immer wieder ein Schnippchen schlug („Wichtig war, dem Staat zu zeigen, welche Vorteile er von einem Freispruch oder einer Amnestie hatte“), bereitet ihm heute noch sichtlich Vergnügen. Aber er gibt auch unumwunden zu, dass es Situationen gab, in denen er hätte mutiger sein können.
Auf der richtigen Seite der Geschichte
Die DDR zu verlassen, war nie eine Option für ihn, denn als alleinerziehender Vater hätte er seinen Sohn zurücklassen müssen, er hätte als Jurist im Westen beruflich wieder ganz von vorne angefangen, und „Ich war überzeugt, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen“.
Sein erster Besuch im Westen führt Gregor Gysi 1988 nach Paris, das ihn mit seiner Warenvielfalt schier erschlägt. „Auf den Straßen sah ich 1.000 verschiedene Automarken, im Käsegeschäft 300 verschiedene Käsesorten, und ich kam an einem Laden vorbei, der bot 100 verschiedene Arten Teewagen an!“ Verwundert stellt er fest, dass Dinge wie ein Fernseher, die in der DDR teuer sind, in Paris wenig kosten, Metrotickets und Ausstellungseintritte dagegen im Vergleich zur DDR sehr teuer sind.
Ich hätte öfter Nein sagen sollen
Auf seine Gründe für den Rückzug vom Amt des Fraktionsvorsitzenden angesprochen, übt Gysi zum ersten Mal Selbstkritik. „Man nimmt sich zu wichtig, wenn man in der ersten Reihe steht. Ich hätte öfter Nein sagen sollen“. Denn der Preis ist hoch – man vernachlässigt Familie und Freunde, was sich sich im Nachhinein nur schwer reparieren lässt.
Zum Schluss gibt Gregor Gysi noch seine Lieblingsgeschichte aus München zum Besten. „Bei einem Wahlkampfauftritt fragte ich das Münchner Publikum: ‚Wissen Sie, was ich an Ihnen nicht leiden kann? Heute lachen und klatschen Sie, aber am Sonntag wählen Sie uns trotzdem nicht‘. Und dann haben sie wieder gelacht und geklatscht…“ So wie am Ende des Gesprächs die Zuhörer im Literaturhaus :-).
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