Als Kriegsreporterin würde man vielleicht eher eine burschikose Frau erwarten, aber es erscheint eine elegante, sehr jugendlich wirkende Dame, die ihre Zuhörer sofort in den Bann zieht: Die RTL-Chefreporterin Antonia Rados war im April mit einem glänzenden Vortrag zum Nahen Osten beim private banking kongress in München zu Gast. Aus der vielschichtigen und komplexen Geschichte der Region griff sie genau die Punkte auf, die für das Verständnis der heutigen Situation wichtig sind.
Sehr gut nachvollziehbar, klar und ungemein fesselnd erklärt Antonia Rados innerhalb einer knappen Stunde die komplexen Zusammenhänge im Nahen und Mittleren Osten: Schon im Römischen Reich war es schwierig, diese riesige, wenig bevölkerte Region zusammenzuhalten. Daran hat sich bis heute trotz der gemeinsamen Sprache und Religion nichts geändert. Denn damals wie heute fühlen sich die Menschen eher ihren Clans, Familien- oder Stammesverbänden verbunden als einem Staat.
Auch Radikale und Sekten wie den Islamischen Staat gibt es in der Region seit Jahrhunderten, obwohl die überwältigende Mehrheit der Muslime friedlich leben möchte, wie Antonia Rados mehrfach betont. Die Furcht vor einem übermächtigen IS hält sie für unbegründet.
Anfang des 20. Jahrhunderts teilen Briten und Franzosen die Region unter sich auf und achten darauf, dass immer nur schwache Minderheiten an die Macht kommen, die weiter die Unterstützung der Kolonialmächte benötigen. Nach dem Zweiten Weltkrieg sorgen Abkommen des ölhungrigen Westens mit den Herrschern der neu entstandenen Staaten für eine gewisse Stabilität. Demokratie oder Modernisierung in Form von Bildung, Elektrifizierung oder Ingenieurskunst bleiben aber aus.
Um die Jahrtausendwende zeigen sich die ersten Brüche: 9/11 rüttelt den Westen auf und führt zu unheilvollen Interventionen. Handy, Satelliten TV und Internet beflügeln schließlich die Revolte der Jugend. Im Arabischen Frühling erheben sie sich 2011 gegen die alten Herrscher, die oft jahrzehntelang an der Macht klebten, und kämpfen für eine bessere Zukunft, Bildung und Arbeitsplätze.
Heute ist der Arabische Frühling zum Winter geworden, die Strukturen zerfallen wieder in Clans, Stämme und kleine Stadtstaaten. Das einzige Bindeglied ist die Religion, nur die Moscheen bieten den Menschen in Krisensituationen geistige und praktische Unterstützung. Allerdings glaubt Antonia Rados nicht an eine unbegrenzte Ausbreitung des IS-Kalifats, in dem derzeit eine verlorene Generation für fehlgeleitete Ideale kämpft.
Zauberwort „Soziale Gerechtigkeit“
Nach der scharfsinnigen und schlüssigen Analyse der Gegebenheiten vor Ort sieht Antonia Rados Verantwortung auch im Westen, der 2011 die Chance eines Marshallplans für mehr Bildung, Entwicklung und Arbeit in der Region vertan hat. „Soziale Gerechtigkeit“, so Rados, sei das Zauberwort und die beste Möglichkeit für eine positive Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten.
Nach dem Vortrag beantwortet Antonia Rados ausführlich die vertiefenden Fragen der vielen Interessierten und auch noch in der Kaffeepause ist ihr großes Interesse an weiterführenden Gesprächen und einem direkten Austausch mit ihrem Gegenüber spürbar. Eine faszinierende Frau!
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