2012 März 12

Für Sie entdeckt, Interviews

Ein Kommentar

Russland nach der Wahl – Mehr als drei Fragen an…

von Barbara Boesmiller

…unseren Redner Boris Reitschuster, Leiter des FOCUS-Büros Moskau und gefragter Russland-Experte.

Die russische Rochade hat geklappt: Schon im ersten Wahlgang hat Wladimir Putin die Präsidentschaftswahl gewonnen und es scheint, als sei in Moskau gleich wieder der Alltag eingekehrt. Die Opposition demonstriert noch ein wenig, Putin aber regiert und macht völlig unbeeindruckt da weiter, wo er vor vier Jahren aufgehört hat.

Boris Reitschuster, bei den Demonstrationen gegen Putin sind in den letzten Wochen soviele Menschen wie noch nie auf die Straße gegangen. Nun muss er nicht einmal in die Stichwahl. Wie kommt das?

Obwohl die absoluten Zahlen hoch waren, ist es doch nur ein ganz kleiner Teil der russischen Bevölkerung, der demonstrierte. Putin kontrolliert fast alle wichtigen Medien, insbesondere die großen Fernsehsender, die von früh bis spät Propaganda für ihn bringen. Er hat die Opposition ausgeschaltet, oftmals mit alten KGB-Methoden. Bei den Wahlen durften nur handverlesene Kandidaten gegen ihn antreten, die noch dazu mit angezogener Handbremse in die Wahlschlacht zogen.

Neben den Manipulationen im Wahlkampf wurde dann auch noch am Wahltag massiv geschummelt. Staatsbedienstete wurden zur Stimmabgabe gezwungen. Es gab „Karusselle“, also Wähler, die von Wahllokal zu Wahllokal gekarrt wurden, um für Putin zu stimmen. Es gab Fälschungen bei der Auszählung. Mit Wahlen im westlichen Sinne hat das Ganze nur bedingt etwas zu tun. Eher war es ein Referendum zur Unterstützung der Führung in alter sowjetischer Tradition.

Dazu kommt, dass Putin bei großen Teilen der Bevölkerung weiterhin Rückhalt hat. Es ist ein bisschen wie in einer alten Ehe. Da gibt es keine Liebe mehr, aber man hat Angst vor einem Neuanfang und einem Rosenkrieg, sieht keine Alternative – und materiell geht es einem ganz gut, zumindest besser als früher.

Im Wahlkampf wurde Putin von seinen Anhängern angehimmelt, Oppositionskandidaten aber wurden oft wüst beschimpft. Wie haben Sie diesen Wahlkampf empfunden?

Der Wahlkampf war wie eine Fußball-WM, bei der alle europäischen und südamerikanischen Mannschaft ausgeschlossen wurden – und bei der dann ein Team mit 33 Mann und dem Schiedsrichter aus den eigenen Reihen gegen die Reserve-Mannschaften der anderen antritt, die zudem noch Fußfesseln tragen. Mit einem fairen und sauberen Wettbewerb hat das so viel zu tun wie ein Wrestling-Kampf mit echtem Boxen.

Die Opposition kann sich seit fast 12 Jahren in keinem offenen und echten Wettbewerb mehr messen. Ihre Aktionen finden, wenn sie nicht verboten oder manipuliert werden, unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Auch wurde ihr die Rückkoppelung zur Bevölkerung genommen, regierungsnahe Oppositionen machen sie ständig lächerlich und ziehen sie durch den Dreck.

Dass sich in dieser Stimmung keine normale Opposition entwickeln kann, dass sich keine Führungspersönlichkeiten herausbilden und die Kreml-Kritiker sich nicht einigen können – das ist leider eine logische Konsequenz dieser negativen Umstände. Weniger traurig ist es deswegen nicht.

Dass jetzt im März nach Putins Sieg  viel weniger Menschen auf die Straße gingen als nach den Fälschungen der Duma-Wahl im Dezember hat seinen Grund sicher auch darin, dass viele enttäuscht sind von der Opposition. Ihr gelang es nicht, auf der Protestwelle zu surfen.

Wie zerstritten, wie gespalten ist die russische Gesellschaft?

Die Spaltung in der Gesellschaft  ist stark, und Putin hat sie mit seiner Kriegs-Rhetorik enorm verstärkt. Wenn man seinen Kritikern unterstellt, sie seien vom Ausland bezahlt und Staatsfeinde, schafft man damit eine enorm explosive Stimmung. Putin weckt da Geister, die sich verselbständigen können. Schlimm fand ich besonders, dass er nach der Wahl noch drauflegte – statt zu versöhnen. Verantwortungsvolles Handeln sieht anders aus. Putin glaubt inzwischen offenbar an die eigene Propaganda. Das ist sehr gefährlich.

Wagen Sie eine Prognose: Wie wird sich Russland in den kommenden sechs Jahren entwickeln?

Ich denke, eine gewissenhafte Prognose ist nicht möglich. Hätte jemand am 1. Dezember gesagt, dass in Russland in ein paar Tagen Hunderttausend Menschen auf die Straße gehen, um gegen das System  zu protestieren – jeder hätte ihn für verrückt erklärt oder für einen Träumer. Umgekehrt war nach den Demonstrationen die fast einhellige Meinung, dass jetzt immer mehr Menschen auf die Straße gehen, und dass ein demokratisches Tauwetter unmittelbar bevorsteht. Auch diese Prognose war offenbar falsch, zumindest deutet alles darauf hin.

Dann bleibt also einfach alles beim Alten?

Ich bin fest davon überzeugt, dass Putins Weg der falsche ist und dieses System keine Zukunft hat. Diese abenteuerliche Mischung aus alten KGB-Methoden, die bereits einmal tragisch gescheitert sind, aus Feudalismus, in dem Beamte gegen völlige Unterwürfigkeit gegenüber ihrem Chef einen Freibrief zur Bereicherung und zu Gesetzesverstößen haben, und aus einem völlig entfesselten, sozial verantwortungslosen Kapitalismus wird zusammenbrechen, implodieren. Je schneller das geschieht, umso größer ist die Chance, dass es friedlich vonstatten geht.

Das positive Szenario wäre eine Palastrevolte, in der gemäßigte Vertraute Putin in den Ruhestand abschieben. Das negative wäre eine Machtübernahme durch die Falken, also die Hardliner in Putins Umgebung, oder Nationalisten. Dann würden wir uns vielleicht noch nach ihm zurücksehnen.

PS: In der ARD-Mediathek finden Sie ein Porträt Wladimir Putins mit Seltenheitswert. Der Filmemacher Hubert Seipel ist dem russischen Machthaber dabei erstaunlich nahe gekommen. Gerade die auf deutsch (!) geführten Interviews machen das Porträt zu einem wirklich sehenswerten Film.

 

Auf dieses Thema gibt es eine Reaktion

  1. elder

    Putin hat die Wahlen völlig verdient gewonnen. Die Opposition (Kommunisten, Nationalisten und Neoliberale) hatten den Wählern nichts handfestes, kein Zukunftsprogramm, anzubieten. Sie wiederholten einfach nur die ewig gleichen alten Parolen.

    Putin hat Riesenerfolge für Russland erreicht, die Wirtschaft brummt, die Löhne stiegen, die Russen können wieder würdig leben, da ist es klar dass er gewählt wurde. So einen Mann könnten wir in Deutschland auch gebrauchen.

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