
Unfaire Wahlkampfrhetorik nimmt das Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft Club of Rome sportlich. Aber von Deep-State-Fantasien rät Professor Christian Berg den neuen politisch Verantwortlichen in Berlin klar ab. Lesen Sie, was einer der vielschichtigsten Nachhaltigkeitsexperten von den aktuellen Rempeleien rund um sein Herzensthema hält.
Die gemeinnützige Organisation Club of Rome setzt sich für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit ein. Was macht es mit Ihnen, wenn Sie als „linke und grüne Spinner“ bezeichnet werden? Und was erwidern Sie, wenn Friedrich Merz die Legitimität von NGOs anzweifelt, die sich für Nachhaltigkeit oder gegen Rassismus stark machen?
Ich würde diese im Endspurt des Wahlkampfs gebrauchte Formulierung nicht überbewerten. Viel gravierender finde ich die „kleine Anfrage“ der Union, denn sie legt nahe, dass diese Organisationen staatliches Geld missbräuchlich für politische Ziele verwenden würden. Dafür gibt es, wie die Regierung ja inzwischen erklärt hat, keinerlei Anhaltspunkte. Staatliches Handeln ist zur Neutralität verpflichtet, selbstverständlich. Aber das schließt nicht aus, dass sich zivilgesellschaftliche Akteure an einem Meinungsbildungsprozess beteiligen – im Gegenteil. Der Staat hat sogar eine „freie und offene Meinungs- und Willensbildung“ zu gewährleisten, wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt betont hat. Vor allem muss man den Kontext sehen: Es waren ja, zumindest auch, die bundesweiten Proteste gegen die Abstimmung der Union mit der AfD im Bundestag, die Anlass für diese Anfrage waren. Friedrich Merz hat hinterher selbst erklärt, er bedaure, dass es dazu gekommen sei. Ich denke, die Union wäre gut beraten, sich nicht in Deep-State-Fantasien zu ergehen und damit populistische Narrative weiter zu stärken.
Der Klimaschutz ist im Wahlkampf ja völlig ins Hintertreffen geraten, bis die Grünen ihren Verhandlungs-Coup gelandet haben. Zeigt das Wahlergebnis, dass die deutschen Wähler*innen vorerst genug vom Klimawandel haben?
Die multiplen Krisen der Gegenwart verdrängen den Blick in die Zukunft. Das ist besorgniserregend, aber auch verständlich. Wer heute seine Existenz bedroht sieht, denkt nicht an morgen. Doch irgendwann fällt es einem auf die Füße, wenn man lange nicht an morgen denkt. Bei der Abhängigkeit von russischem Gas oder beim Thema Verteidigung erleben wir das gerade deutlich. Ich plädiere seit Jahren für einen integrativen Blick auf das Thema Nachhaltigkeit. Denn Energieautarkie ist auch Sicherheitspolitik und Klimaschutz auch Entwicklungspolitik. Wenn wir Klimaschutz und Nachhaltigkeit mehrheitsfähig machen wollen, dann darf die Politik diese Themen nicht in eine bestimmte politische Ecke stellen. Die Zukunft unserer Lebensgrundlagen ist doch wohl nicht Sache einer bestimmten Partei, sie geht uns alle an! Auch die künftige Regierung wird den Klimaschutz adressieren müssen – allein schon aus verfassungs- bzw. europarechtlichen Gründen. Jetzt hat sie ja immerhin zugesagt, 100 Milliarden des Sondervermögens für den Klima- und Transformationsfonds bereitzustellen.
Könnte es sein, dass die Nachhaltigkeit gar nicht mehr oben auf der Agenda stehen muss, weil viele Transformationsziele bereits erreicht worden sind? Hat die Wirtschaft schon begriffen, dass nachhaltige Innovationen und Investitionen entscheidende Zukunftsfaktoren sind – und wichtiger Teil der Wertschöpfungskette?
Ihre erste Frage würde ich vehement verneinen: Die Transformationsziele sind noch lange nicht erreicht! Manche Unternehmen integrieren zwar bereits „grüne Strategien“ in ihre Prozesse, und manche verstehen Nachhaltigkeit durchaus auch schon als Innovationstreiber, wie ich oft argumentiere. Aber insgesamt geschieht das viel zu zaghaft, und es sind noch viel zu wenige Unternehmen! Es geht ja nicht darum, ein paar Prozesse anzupassen oder den Fuhrpark auf Elektroautos umzustellen. Wenn wir wirklich Produktion und Konsum nachhaltiger machen wollen – wie es SDG 12 fordert – dann müssen wir unser Wirtschaften durch alle Wertschöpfungsketten hindurch regenerativ und in Kreisläufen organisieren. Produkte, Dienstleistungen, Prozesse und Richtlinien sind deshalb nach diesen Kriterien zu gestalten, um für die Zukunft gerüstet zu sein.
Allerdings werden Unternehmen die Transformation allein nicht bewältigen können. Es braucht auch klare, verlässliche und langfristige politischen Rahmenbedingungen, die nachhaltiges Handeln auch belohnen. Und es braucht auch die Nachfrage des Marktes nach entsprechenden Angeboten.
Braucht’s jetzt einen Neustart in Sachen Bewusstsein? Wie wollen Sie das Thema mit Ihren Vorträgen wieder in den Köpfen und Herzen der Menschen verankern?
Nach meinem Eindruck gibt es ein großes Bewusstsein für die Dringlichkeit der großen ökologischen Herausforderungen. Ich beschäftige mich schon lange mit Fragen der Nachhaltigkeit – und es hat immer wieder Rückschläge oder Stillstand gegeben. Wie erreicht man Kopf und Herz? Aus meiner Sicht ist es wichtig, sich zu verdeutlichen, dass diese Fragen uns alle angehen! Es geht um unsere, auch um meine ganz persönliche Zukunft! Und: Ich bin dem allen nicht hilflos ausgeliefert, sondern kann selbst konkrete Schritte tun – im privaten wie im beruflichen Kontext! Angesichts des medialen Dauerfeuers schlechter Nachrichten darf man sich nicht verrückt machen lassen, sondern sollte beharrlich und mit Ausdauer für die eigenen Überzeugungen eintreten. Das wird nicht umsonst sein, davon bin ich überzeugt, und stärkt auch unsere Selbstwirksamkeit.
Geht Ihnen die Rückwärtsgewandtheit in der globalen Klimapolitik nicht gehörig an die Substanz?
Ich kann nicht leugnen, dass es schon sehr deprimierend ist, was momentan an vielen Stellen geschieht. Ich versuche, darauf mit Medienkonsumhygiene zu antworten. Ich dosiere sorgfältig, wann ich mich welcher Art von Informationen aussetze. Und dann finde ich es wichtig, den Blick bewusst auch auf Positives zu lenken. Die Geschichte ist voll von Krisen, Kriegen und Notlagen. Aber es hat immer auch beeindruckende Menschen gegeben, die trotz widrigster Umstände für eine bessere Welt gekämpft haben. Das ist keine Flucht, sondern eine bewusste Entscheidung.
Christian Berg vereint unterschiedliche Welten in sich. Der Physiker, Theologe und Philosoph hat jahrelange Erfahrung in der Industrie, ist in der Politikberatung tätig gewesen, lehrt an verschiedenen Hochschulen das Thema Nachhaltigkeit und ist ein gefragter Redner. Nutzt er doch seine vielfältigen Hintergründe dazu, komplexe Dinge klug, klar und messerscharf aus allen Blickwinkeln zu betrachten. Damit wird der ganzheitliche Vordenker zur multidimensionalen Bereicherung für Ihre Veranstaltung!
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Das Interview führte Katja Volkmer, Redakteurin und freie Mitarbeiterin der Econ Referenten-Agentur.
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