2012 Mai 08

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Frankreich hat gewählt, François Hollande hat gewonnen – drei Fragen an…

von Barbara Boesmiller

…unseren Redner Armin Nassehi. Er lehrt als Professor in München und beschäftigt sich unter anderem mit politischer Soziologie.

Prof. Nassehi, vor der Präsidentschafts-Wahl ist Frankreich oft als Land im Umbruch beschrieben worden, gar als ein „verletztes Land“. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, der Mittelstand schwach, diese wirtschaftliche Schwäche nagt am Selbstverständnis der Grande Nation. Und wie so oft in solch einer Identitätskrise driftet die Gesellschaft auseinander, erhalten gerade rechte und teils rassistische Strömungen Zulauf. Dennoch hat der Sozialist Hollande die Wahl gewonnen, die Ära Sarkozy ist nach nur einer Amtszeit vorbei.

Ist dieser knappe Sieg Hollandes ein Aufbruchssignal, ein Zeichen für das Ende der (Identitäts-)Krise?

Es mag ein momentanes Aufbruchssignal sein, aber die Probleme Frankreichs sind struktureller Natur. Im Vergleich zu Deutschland ist Frankreich von der Krise erheblich schwerer getroffen, wenn man an die Arbeitslosenzahlen denkt, an das hohe Staatsdefizit und nicht zuletzt an die hohen Kreditzinsen, mit denen sich das Land mit Mitteln versorgen muss.

Hollande ist gewählt worden, weil er ein Investitionsprogramm in Aussicht gestellt hat, aber gerade einer sozialistischen Regierung wird die Finanzwirtschaft stärker zusetzen. Wenn man es zynisch ausdrücken will: Die Franzosen hatten nicht wirklich eine Wahl. Sie befinden sich in einem ähnlichen Teufelskreis wie andere Krisenländer in Europa auch: Wenn die Produktivität und Dynamik der Wirtschaft nicht steigt, helfen auch staatlich finanzierte Investitionsprogramme nicht.

Man kann übrigens schon jetzt von Hollande hören, dass die Wahlkampfrhetorik realistischeren Restriktionen weicht. Das wäre Sarkozy auch nicht anders gegangen.

Kann die französische Gesellschaft unter Hollande wieder zusammenfinden? Oder wird sie sich noch mehr spalten in linke und gemäßigte gegen konservative und rechte Gruppen?

Das französische Wahlrecht ist in der Lage, durch die Stichwahl extreme Positionen von rechts oder links am Ende außen vor zu halten. Wie sehr die Gesellschaft aber verunsichert ist, lässt sich am Erfolg Marine Le Pens beobachten. Sie hat die klassische Klaviatur des Rechtspopulismus bedient: Einfache Lösungen für schwierige Probleme.

Dieser Konflikt freilich ist mit der Wahl nicht entschärft worden. Das erleben wir derzeit in vielen europäischen Ländern. Je stärker die Krise in den Alltag der Leute hineinwirkt, desto attraktiver sind einfache Lösungen.

Dauerthema im französischen Wahlkampf war le modèle allemand, das Vorbild Deutschland. Sollte und könnte Frankreich tatsächlich „deutscher“ werden?

Das Modell Deutschland hat in Frankreich eine doppelte Bedeutung: Es ist zum einen die mit Recht bewunderte Reformpolitik. Und zum anderen die besondere Produktivität der deutschen Wirtschaft. Beides hat Deutschland zur ökonomischen Lokomotive Europas werden lassen – das sah vor einigen Jahren ja noch ganz anders aus.

Darüberhinaus steht das Modell Deutschland für strikte Sparhaushalte und gemäßigte Lohnpolitik mit dem mittelfristigen Ziel ausgeglichener Haushalte. Sarkozy war dafür der wichtigste Partner Berlins. Hollande steht für ein eher klassisches sozialdemokratisches Modell, die Staatseinnahmen durch staatliche Investitionen zu erhöhen. Welches der beiden Modelle das richtige ist, darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Realistischerweise wird die Strategie in der Mitte liegen.

Was man allerdings in jedem Fall sagen kann, ist dies: Wenn nicht Frankreich, so wird zumindest Hollande „deutscher“ werden – deutscher jedenfalls, als er noch im Wahlkampf reden konnte. Und wahrscheinlich wird Angela Merkel im kommenden Wahlkampf ein bisschen „französischer“.

 

 

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