2012 April 03

Gastautoren

Kommentar verfassen

Warum 2012 die Welt (nicht) untergeht- Ein Gastbeitrag von Dirk Soltau

von Barbara Boesmiller

Haben Sie Pläne für 2012? Dann sehen Sie zu, dass daraus etwas wird – Sie haben nur noch acht Monate Zeit! Denn Ende des Jahres geht die Welt unter. Sagen die Maya. Angeblich. Eine Prophezeiung der vor über 1000 Jahren versunkenen Kultur kündigt für den 21. Dezember 2012 das Ende der Welt an. Diese „Maya-Prophezeiung“ zirkuliert seit langem in esoterischen Kreisen und inzwischen auch in den Medien – da kann die NASA sagen, was sie will. Unser Redner Dirk Soltau, seines Zeichens Astrophysiker, ist natürlich ebenfalls skeptisch. Aus zwei Gründen ist die Prophezeiung für ihn trotzdem interessant, wie er in seinem Gastbeitrag schreibt:

Da ist erst einmal die „technische Frage“: Was genau steckt hinter der Prophezeiung? Auf welche Berechnungen, welche Vorgehensweise stützt sie sich? Diese Frage berührt die erstaunliche Kompetenz der seit 1100 Jahren untergegangenen Hochkultur.

Die Maya waren geradezu besessen von der Chronologie. Es ist spannend nachzuvollziehen, wie meine beruflichen Vorfahren den Himmel beobachteten. Sonne und Mondlauf wurden akribisch verfolgt, wichtige Ereignisse wie Sonnen- und Mondfinsternisse mit buchhalterischer Genauigkeit notiert. Besonders die Venus hatte es den Maya angetan. Wenn sie als Morgenstern zum ersten Mal wieder am Osthimmel zu sehen war, wurde das aufgeschrieben. Es entstand ein Kalendersystem, das auf verschiedenen Zyklen beruhte.

Erst wenn man solche Beobachtungen über viele Jahre, d.h. über mehrere Generationen macht, lassen sich Regelmäßigkeiten und Zyklen ablesen. Man braucht also ein System der Überlieferung: eine Schrift und ein Zahlensystem. Beides hatten die Maya schon vor über 2000 Jahren. Wenn man Ordnung und Wiederkehr in der Natur (und damit bei den Göttern) beobachtet, so liegt es nahe, diese auch im Leben der Menschen und der Geschichte zu vermuten.

Nachdem die Kalenderpriester der Maya die fundamentalen Zyklen entdeckt zu haben glaubten, konnten sie ihre wichtigste Aufgabe erfüllen: in die Zukunft sehen. Sie hatten eine Art Kalenderuhrwerk geschaffen, in dem sie mit Hilfe ihres genialen Zahlensystems in die Vergangenheit und in die Zukunft rechnen konnten. Alles schien vorhersehbar: sogar das Ende der Welt, oder doch zumindest das eines Zeitalters.

Das Geschäft mit der Angst

Und dann ist da die Frage nach dem Nutzen der Prophezeiung. Prophezeiungen – heute nennt man sie Prognosen – sind ein gutes Geschäft. Meine beruflichen Vorfahren ließen sich ihren prophetischen Rat, den Mais am Tag x zu säen oder den nächsten Krieg am Tag y zu beginnen, gut bezahlen. Und: Sie genossen hohes Ansehen, standen in der Gesellschaft ganz oben.

Doch der Markt für Prophezeiungen hat sich seit den Maya verändert. Ging es bei deren Kalenderpriestern im Grunde darum, günstige Ereignisse vorherzusagen, so kommt es bei den Prophezeiungen/Prognosen heutzutage weniger auf die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts, als auf den Angstfaktor an. Den größten Effekt hat eine Prophezeiung/Prognose dann, wenn sie negativ ist, und das auch nur zum Zeitpunkt ihrer Abgabe. Ob sie tatsächlich eintritt, ist eigentlich unerheblich.

Prophezeiungen damals und heute

Egal, ob es sich um den 3. Weltkrieg, die Rente, das Waldsterben, die Klimaänderung, den Ölpreis oder das Wirtschaftswachstum handelt: Für all das gab es langfristige (negative) Prophezeiungen (Prognosen). Keine davon ist wirklich zutreffend gewesen. Doch das stört niemanden. Der Maya-Kollege wurde wahrscheinlich noch an seiner Prophezeiung gemessen. Schlug der Kriegszug fehl, der an dem von ihm empfohlenen Tag begonnen wurde, konnte er sich vermutlich leicht auf der Spitze einer Maya-Pyramide unter dem Obsidian-Messer des Opferpriesters wiederfinden.

Sein heutiges Pendant – der Sachverständige – hat es leichter. Noch bevor der Zeitpunkt seiner Prophezeiung erreicht ist, erhält er die Möglichkeit, eine neue Vorhersage zu erstellen, in der er das fragliche Ereignis in die Zukunft schieben kann. Denn wieder gilt: Die Prophezeiung ist nur wichtig zum Zeitpunkt der Veröffentlichung.

Der Gruselfaktor wiederum führt zu einer klassischen Win-Win-Situation: Trifft die negative Prognose ein (was meist nicht passiert), dann erinnert man sich vielleicht doch an den Propheten, und sein Prestige steigt. Bleibt das schlimme Ereignis jedoch aus, dann ist der Prophet vergessen, es ist noch einmal gut gegangen, und alle können zufrieden sein.

Und damit sind wir wieder bei der Maya-Prophezeiung: Ihre Bedeutung als Thema hat sie jetzt, in der aktuellen Gegenwart. Am 22. 12. 2012 ist sie unwichtig geworden. So oder so.

Auf dieses Thema gibt es noch keine Reaktionen

Hinterlassen Sie eine Antwort

Kurz die Cookies, dann geht's weiter

Auf unseren Seiten werden sog. Cookies eingesetzt. Bei Cookies handelt es sich um kleine Textdateien, die für die Dauer Ihrer Browser – Sitzung im Zwischenspeicher Ihres Internetbrowsers (sog. Session-Cookies) oder für eine gewisse Dauer (sog. permanent – Cookies) auf Ihrer Festplatte gespeichert werden.

Statistik-Cookies helfen Webseiten-Besitzern zu verstehen, wie Besucher mit Webseiten interagieren, indem Informationen anonym gesammelt und gemeldet werden.