2016 Mai 09

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Wolfgang Ischinger: Krise ohne Grenzen

von Sibylle Nottebohm

Econ Redner Wolfgang Ischinger Vortrag Europa 280416

Viel Erfreuliches hat Botschafter Wolfgang Ischinger nicht zu berichten in seinem Vortrag „Krise ohne Grenzen – Anmerkungen zur geopolitischen Weltlage“ beim private banking kongress in München, aber das Publikum lauscht gebannt. In klaren, wohlüberlegten Worten erklärt der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz den Zustand Europas und der Welt:

Seit 25 Jahren ist die Lage sicherheitspolitisch nicht so ernst gewesen wie heute! Ein Indiz dafür sind die jüngsten, wohl absichtlich provozierten militärischen Fast-Zusammenstöße zwischen russischen und amerikanischen Flugzeugen, um die Radare und Reaktionszeit des Gegners auszuloten.

Nur noch 7 Minuten Vorwarnzeit

Seitdem die NATO mit Polen als Mitgliedsland näher an die russische Grenze gerückt ist, beträgt die Vorwarnzeit im Ernstfall nicht mehr 35, sondern nur noch 7 Minuten. Umso mehr steigt die Sorge, dass auch aufgrund von automatisierten Prozessen der falsche Knopf ausgelöst wird und etwas fatal schief läuft.

Sicherheitspolitische Entwicklungen prognostizieren zu können ist deshalb besonders wichtig. Wolfgang Ischinger gibt offen zu, dass er 2014 bei der Planung der Sicherheitskonferenz in München die Brisanz der Ukrainekrise und des erstarkenden IS nicht gesehen hat. Gründe für die Unvorhersehbarkeit gibt es mehrere:

  • Die Global Governance steckt mit dem dysfunktionalen Sicherheitsrat der UN in der Krise. Die USA verlieren gerade ihre weltpolitsche Führungsposition, da Wähler ihrer Interventionspolitik und deren Folgen für die Soldaten und Veteranen überdrüssig sind.
  • Europa grenzt im Mittelmeerraum an ein halbes Dutzend Failing States, kämpft aber gleichzeitig weitgehend nur mit sich selbst, während Russland durch das militärische Eingreifen in Syrien und der Ukraine sowie die Annektion der Krim wieder an Bedeutung gewonnen hat. Mit einem Augenzwinkern vergleicht Wolfgang Ischinger allerdings Russland mit dem Scheinriesen aus dem Kinderbuch „Jim Knopf“ –  je näher er kommt, umso kleiner wirkt er.

    Russland ist wie der Scheinriese aus „Jim Knopf“

    Ischinger plädiert deshalb dafür, die Furcht vor Russland nicht zu übertreiben, denn die strukturellen Probleme dort sind gewaltig und Putins Gebaren resultiert eher aus der inneren Schwäche des Landes denn aus tatsächlicher Stärke.

  • Die Art der Konflikte in der Welt hat sich verändert: Bis ins 20. Jahrhundert gab es Kriege zwischen Staaten oder Staatengruppen. Heute werden im Jemen, in Syrien, Afghanistan, Mali, Libyen und Somalia Bürgerkriege ausgefochten, worauf das Völkerrecht und die internationale Gemeinschaft nicht vorbereitet sind. Darf man eingreifen? Und falls ja – wann, wie, wo und mit welcher Intensität?

Was also tun? Was ist die Rolle der Europäischen Union in dieser Lage? Europa bringt nicht die Kraft und das Selbstvertrauen auf, die Flüchtlingskrise gemeinsam zu stemmen. Obamas Appel auf der Hannover Messe Ende April war richtig, als er die Europäer als Vertreter einer halben Milliarde Menschen zum Handeln aufrief.

Denn leider ist Europa eine Schönwetterkonstruktion. Das Schengen-Abkommen mit dem Verzicht auf Binnenkontrollen wurde von Wirtschaft und Touristen begrüßt. Aber es wurde nicht beachtet, dass Länder mit kritischen Außengrenzen nicht willens oder fähig sind, diese Grenzen zu schützen. Außerdem fehlt es an einem Gremium, das die völkerrechtliche Verpflichtung zum gegenseiten Beistand im Krisenfall wirksam umsetzt.

Der Nationalstaat ist ein Irrweg

Nachdrücklich plädiert Wolfgang Ischinger für eine Stärkung der Europäischen Union: 500 Millionen Europäer sind nur  gemeinsam mächtig. Wir brauchen mehr und nicht weniger Europäische Union!

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